
Jonas Olejniczak
MSC Trained Teacher – MSC-Kurse – Achtsames Selbstmitgefühl
Freundschaft schließen mit sich selbst
Vertiefendes zu MSC
Wer es etwas genauer wissen möchte, findet hier ein paar Aspekte zu MSC, die ich etwas ausführlicher darstelle und die mir wichtig sind. Es geht um Diversität, Bedenken und Missverständnisse (was ist Selbstmitgefühl nicht) und den Zusammenhang von (Selbst-)mitgefühl und Engagement in der Welt.
Bedenken und Missverständnisse
Einige Menschen haben Bedenken gegenüber Selbstmitgefühl. Diese beruhen meist auf einem Missverständnis. Die folgenden Ausführungen orientieren sich am Übungsbuch Selbstmitgefühl von Kristin Neff und Chris Germer, S. 35-41:
„Wenn ich selbstmitfühlend bin, zerfließe ich in Selbstmitleid.“
Einige Menschen befürchten, dass Selbstmitgefühl letztlich nur eine Form von Selbstmitleid sei. Tatsächlich ist Selbstmitgefühl ein Gegenmittel zu Selbstmitleid. Selbstmitleid sagt „Ich Ärmste(r)! Immer ich…“. Selbstmitgefühl hingegen erkennt an, dass das Leben für alle manchmal schwer ist. Forschungsergebnisse zeigen, dass selbstmitfühlende Menschen eher zu Perspektivübernahme neigen und weniger darüber grübeln, wie schlimm alles ist (was bei Selbstmitleid häufig der Fall ist). Selbstmitfühlende Menschen verfügen über eine bessere seelische Gesundheit, weil sie sich bewusst sind, dass jeder im Leben manchmal leidet (gemeinsames Menschsein) und das Ausmaß des eigenen Leidens zugleich nicht übertrieben wird (Achtsamkeit).
„Selbstmitgefühl bedeutet schwach sein. Um mein Leben bewältigen zu können, muss ich hart und stark sein.“
Der zweite Satz mag vielleicht zum Teil richtig sein, wenn Sie Leistungssportler sind :) Tatsächlich aber ist Selbstmitgefühl eine Quelle von innerer Resilienz und Mut, insbesondere dann, wenn wir in Schwierigkeiten stecken. Die Forschung zeigt, dass Menschen mit Selbstmitgefühl besser mit schwierigen Situationen wie zum Beispiel einer Scheidung, einem Trauma oder chronischen Schmerzen zurechtkommen.
„Selbstmitgefühl haben ist egoistisch. Ich sollte mehr an andere denken und nicht ständig mit mir selbst beschäftigt sein.“
Die Sorge, dass Selbstmitgefühl eine Form von Egoismus sei, ist unbegründet. Tatsächlich hilft uns Selbstmitgefühl sogar dabei, in fürsorgenden Beziehungen präsent zu bleiben und nicht auszubrennen. Forschungsergebnisse zeigen außerdem, dass selbstmitfühlende Menschen in der Partnerschaft fürsorglicher und in Beziehungskonflikten eher zu Kompromissen bereit sind, dass sie mehr Mitgefühl für andere haben und nachsichtiger reagieren.
„Mit Selbstmitgefühl lasse ich mich gehen und werde träge und faul.“
Tatsächlich führt Selbstmitgefühl zum Gegenteil. Mitgefühl hat ein dauerhaft gesundes Verhalten zum Ziel und nicht nur kurzfristiges Vergnügen. Ein schönes Beispiel sind fürsorgliche Eltern, die darauf achten, dass ihr Kind nicht so viel Eis isst, wie es möchte, sondern liebevoll darauf achten, dass es auch gesunde Leckereien zu sich nimmt. So wie fürsorgliche Eltern sich um ihr Kind kümmern, können wir lernen, uns um uns selbst zu kümmern. Auch hier zeigt die Forschung, dass Menschen mit Selbstmitgefühl zu gesünderem Verhalten neigen, weil sie Sport treiben, sich gesund ernähren und weniger Alkohol trinken.
„Wenn ich mitfühlend mit mir selbst bin, lasse ich mir alles durchgehen. Wenn ich streng zu mir bin, wenn ich etwas vermassle, dann verletzte ich am Ende noch Leute.“
Auch die Sorge, dass Selbstmitgefühl eine Art Ausrede oder Entschuldigung für schlechtes Benehmen sei, ist unbegründet. Es ist sogar eher so, dass Selbstmitgefühl uns die nötige Sicherheit gibt, eigene Fehler zuzugeben, statt bei anderen die Schuld zu suchen. Forschungsergebnisse zeigen, dass selbstmitfühlende Menschen eher bereit sind, Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen und sich zu entschuldigen, wenn sie jemanden verletzt haben.
„Ich habe hohe Ziele in meinem Leben und die Selbstkritik treibt mich an. Ohne Selbstkritik könnte ich diese Ziele niemals erreichen.“
Hinter dieser Aussage steckt das Missverständnis, dass Selbstmitgefühl die eigene Motivation untergraben könnte. Selbstkritik wird für einen erfolgreichen, unverzichtbaren Motivator gehalten. Tatsächlich unterwandert sie jedoch das Selbstvertrauen und führt zu Versagensängsten. Wenn wir selbstmitfühlend sind, können wir nach wie vor die gleiche Motivation haben unsere Ziele zu erreichen. Aber was uns antreibt, ist dann nicht mehr das Gefühl von Unzulänglichkeit, sondern der Wunsch unser volles Potenzial zu verwirklichen. Forschungsergebnisse zeigen, dass Menschen mit Selbstmitgefühl sehr wohl hohe persönliche Standards haben, sich aber nicht so sehr darüber ärgern, wenn sie sie mal verfehlen sollten. Sie haben weniger Versagensängste und die Bereitschaft, nach einem Scheitern es erneut zu wagen und am Ball zu bleiben, ist höher.
„Selbstmitgefühl bedeutet, sein eigenes Spiegelbild zu lieben und sich zu sagen: „Ich bin toll, ich bin klug, ich bin stark.“
Was sich hinter dem obigen Zitat verbirgt, ist der Versuch, das eigene Selbstwertgefühl zu stärken. Tatsächlich ist Selbstmitgefühl aber keineswegs identisch mit Selbstwertgefühl. In unserer westlichen Kultur wird Selbstwertgefühl in der Regel so verstanden, dass wir uns als etwas Besonderes wahrnehmen, uns von anderen abheben und vielleicht auch Überdurchschnittliches leisten. Es mag zwar durchaus Bereiche geben, in denen wir überdurchschnittlich gut sind und es spricht nichts dagegen dieses zu feiern und zu würdigen (im Gegenteil!), aber Selbstwertgefühl bleibt immer an den Vergleich mit anderen gekoppelt. Dies birgt einige Schwierigkeiten: Wir können nicht immer und ständig überdurchschnittlich sein. Wenn wir es doch versuchen, werden wir irgendwann scheitern. Jugendliche, die ihr Selbstwertgefühl steigern wollen, neigen manchmal dazu andere zu hänseln, um sich selbst zu profilieren (auch Erwachsene handeln natürlich leider gelegentlich so). Auch Vorurteile können so entstehen. Wenn ich meine Ethnie, mein Geschlecht oder meine Nationalität für besser als andere halte, kann sich mein Selbstwertgefühl aufplustern. Dabei kann dies durchaus auch mit psychologischem Wohlbefinden einhergehen. Selbstmitgefühl führt auch zu psychologischem Wohlbefinden, unterscheidet sich aber von Selbstwertgefühl:
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Selbstwertgefühl kann als positive Einschätzung der eigenen Bedeutung verstanden werden. Selbstmitgefühl hingegen ist unabhängig von Bewertung oder Urteil der eigenen Person. Es bezieht sich auf die Art und Weise, wie wir uns mit Freundlichkeit und Annahme auf unsere sich ständig ändernden inneren Zustände beziehen, ganz besonders dann, wenn wir scheitern oder uns unzulänglich fühlen.
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Für ein hohes Selbstwertgefühl ist es entscheidend, sich besser als andere zu fühlen. Selbstmitgefühl hingegen erkennt an, dass wir alle letztlich unvollkommen sind.
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Ein hohes Selbstwertgefühl ist besonders dann hilfreich, wenn es uns gerade gut geht und wir erfolgreich sind. Allerdings kann es uns gerade dann im Stich lassen, wenn wir versagen oder scheitern. Selbstmitgefühl hingegen ist eine verlässliche Quelle, die uns gerade dann unterstützt, wenn alles zusammenzubrechen scheint. Gerade weil wir Schmerz empfinden, reagieren wir mit Freundlichkeit und Fürsorge für uns selbst.
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Entsprechend ist Selbstmitgefühl viel unabhängiger von äußeren Bedingungen wie Erfolg, körperlicher Attraktivität und Leistung. Über einen längeren Zeitraum führt es zu einem natürlicheren und stabileren Selbstwert, der weniger abhängig von sozialem Vergleich und weniger narzisstische Züge wie das hohe Selbstwertgefühl hat.
Diversität
LSBTIQ+ und BIPoC
Mir ist es wichtig, dass alle Menschen gleichermaßen in meinen Kursen willkommen sind. Als weißer, heterosexueller Cis-Mann bemühe ich mich darum, mir meiner Privilegien bewusst zu sein und diese Bewusstheit auch in mein Unterrichten einfließen zu lassen. Nichts desto trotz kann es vorkommen, dass auch ich durch tiefe gesellschaftliche und kulturelle Konditionierung blinde Flecken habe. Es gehört für mich zum Wachstum dazu, diese aufzudecken und zu erkennen. Daher sind ausdrücklich Menschen willkommen, die sich der LSBTIQ+-Community zuordnen oder zur BIPoC-Gruppe gehören. An dieser Stelle möchte ich auch gerne auf das MSC-Format hinweisen, das explizit für Menschen der LSBTIQ+-Community entwickelt wurde: https://www.msc-selbstmitgefuehl.org/selbstmitgefuehl/diversitaet_und_selbstmitgefuehl
Außerdem unterrichte ich meine Kurse traumasensitiv. Menschen mit (gesellschaftlich bedingten) Traumata müssen keine Sorge haben, Flashbacks zu erleiden, wenn sie sich an die Anleitungen halten.
MSC und Männer
Aus meiner Erfahrung werden MSC-Kurse mehrheitlich von Frauen besucht und unterrichtet. Dies hat aus meiner Sicht vermutlich mit zwei Aspekten zu tun:
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Das immer noch in unserer Gesellschaft dominante Bild vom starken Mann, der keine Schwächen (und weiche Gefühle wie Trauer, Angst, Selbstzweifel…) zeigen sollte.
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Das Missverständnis, dass Selbstmitgefühl eben das bedeute: Schwach und verletzlich sein.
Der Psychotherapeut Björn Süfke schreibt in seinem Buch „Männerseelen“:
„Männern fällt die bewusste Wahrnehmung eigener Gefühle und damit auch eigener Bedürfnisse häufig schwer. Eine positive Art des Gefühlsausdrucks und –umgangs, der Befriedigung von Bedürfnissen sowie der Erfüllung von Sehnsüchten ist so kaum möglich“. (S. 32)
Die gute Nachricht ist: Wir können das lernen und Selbstmitgefühl kann und dabei unterstützen. Natürlich ist es Teil der Praxis von Selbstmitgefühl mit weicheren Gefühlen in Kontakt zu kommen. Das Schöne ist aber: Jede und jeder ist frei, genau so viel davon zu zeigen und mitzuteilen, wie sie oder er möchte. Freundlichkeit sich selbst gegenüber zu üben, bedeutet auch, stets entscheiden zu können, wie viel man sich zumuten und wie viel man zeigen möchte. In meinen Kursen kann jeder seinen eigenen Prozess in einem geschützten Rahmen machen und selbst entscheiden, wie weit man sich innerlich und auch nach außen der Gruppe gegenüber und auch mir gegenüber öffnet.
Süfke schreibt an anderer Stelle über uns Männer: „Nur über die Akzeptanz eigener Schwächen, Hilflosigkeiten und Bedürftigkeiten, über das Abrücken von der Identitätslüge der eigenen Stärke und Überlegenheit kann eine wahre, von innen kommende Energie entstehen“ (S. 194 f.)
Nach meiner Erfahrung fördert Selbstmitgefühl ebendiese freundliche Annahme der eigenen Schattenseiten und Schwächen und kann die oben beschriebene Lebensenergie freisetzen.
Wenn Sie also ein Mann sind und überlegen, einen MSC-Kurs zu besuchen, ermutige ich Sie ausdrücklich dazu. Sollten Sie Interesse an einem MSC-Kurs nur für Männer haben, schreiben Sie mir gerne. Wenn es genug Interessenten gibt, würde ich gerne einen solchen Kurs anbieten.
MSC und Frauen
Mir ist es wichtig, an dieser Stelle zu betonen, dass ich mir der nach wie vor vorhandenen Benachteiligung von Frauen in unserer Gesellschaft und auch der Geschichte der Unterdrückung des weiblichen Geschlechts bewusst bin. Es gibt genug Gründe für Frauen intensiv Selbstmitgefühl zu praktizieren, ihre eigenen Bedürfnisse intensiver wahrzunehmen und den Mut aufzubringen, diese zu kommunizieren und aktiv zu erfüllen - und ich freue mich, dass so viele Frauen MSC-Kurse besuchen und unterrichten. Herzlich willkommen :) Gerne verweise ich an dieser Stelle auf das Buch von Kristin Neff: „Kraftvolles Selbstmitgefühl für Frauen“, Kailash-Verlag 2022.
Mitgefühl und Engagement
„Allein zu denken, Mitgefühl, Vernunft und Geduld seien gut, reicht nicht aus, um diese Eigenschaften auch zu entwickeln. Wir müssen darauf warten, dass Probleme auftauchen und dann versuchen, diese Tugenden zu praktizieren.“ (Dalai Lama)
Nach meiner Erfahrung kommt es immer mal wieder vor, dass Mitgefühl mit einem „Weichspülgang“ oder „Kuschelpädagogik“ verwechselt wird. Für mich ist das ein auf Missverständnissen basierender Unsinn :) (siehe dazu „Bedenken und Missverständnisse“)
Wenn wir Mitgefühl mit uns selbst erlernen, kommen wir nicht umhin auch unsere eigenen Schattenseiten anzuschauen. Das ist keineswegs immer angenehm und hat mit Weichspülen und Kuscheln nichts zu tun, sondern ist eine ziemlich mutige Angelegenheit. Die Qualität von Mitgefühl unterstützt uns jedoch dabei, uns unseren Schwierigkeiten auf freundliche und sanfte Weise zu öffnen. Wir nähern uns unserem eigenen Schmerz nur soweit, wie wir ihn auch halten können – und wir können stets selbst entscheiden, wie weit wir die innere Tür öffnen und wann wir sie wieder schließen möchten. Auch dies ist kein Weichspülprogramm, sondern hat mit weisem Unterscheidungsvermögen zu tun.
„Wahres Mitgefühl ist nicht nur einfach eine emotionale Reaktion, sondern eine starke, auf Vernunft basierende Verpflichtung.“ (Dalai Lama)
Nach meinem Verständnis hat Mitgefühl auch eine politische Dimension. Wenn wir mit uns selbst mitfühlender werden, kann auch das Mitgefühl für andere Lebewesen wachsen. Daraus wiederum erwächst ein Gefühl der Verbundenheit und aus diesem ein Impuls und auch Kraft zum Handeln, wenn wir Leid ums uns herum und in der Welt sehen. Mitgefühl stärkt in uns die Fähigkeit mit dem Leiden in der Welt in Kontakt zu sein ohne davon dauerhaft überwältigt zu werden oder auszubrennen. Dies ermöglicht nachhaltige Dimensionen des Handelns und des Engagements. In einer Welt, die in einer tiefen ökologischen Katastrophe steckt und global von einem System beherrscht wird, das den Profit weniger Menschen zulasten der großen Mehrheit der Menschheit, der Tiere und letztlich des gesamten Lebens auf dem Planeten fördert, ist dies bitter nötig. Das Leben und Kultivieren von (Selbst-)mitgefühl hat nicht nur eine stille, meditative, sondern auch eine aktive, zum Handeln motivierende Komponente. Wir stehen kraftvoll für uns selbst und andere ein. Oder um es mit den Worten des vietnamesischen Mönchs und Friedensaktivisten Thích Nhất Hạnh zu sagen:
„Mitgefühl ist ein Verb“